Britische Pistole M 1802 New Land Pattern

Tower-Fertigung ab 1802


Geschichte


Text Udo Lander

Vom letzten Viertel des 18. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg war Großbritannien die dominierende Weltmacht mit uneingeschränkter Vormachtstellung. Obwohl stets die Royal Navy als maßgebliches Instrument der Expansion des British Empire angeführt wird, war immer auch die Britische Armee entscheidend gefordert. Für die Verteidigung der Kolonien gegen andere Nationen und Aufständische war die Armee ebenso unerlässlich wie seit 1792 auf dem europäischen Festland gegen die französischen Revolutionstruppen und in verstärktem Maße gegen die französische Armee in den napoleonischen Kriegen bis 1815. Auch bei der Eroberung neuer Kolonien spielten die Bodentruppen eine wesentliche Rolle, weil Großbritannien die Territorien bis weit ins Landesinnere kontrollieren wollte und damit außerhalb des Wirkungsbereiches der Royal Navy agiert werden musste.

Neben der legendären „Brown Bess“ und der „India Pattern Musket“, welche die britische Regierung von der Verwaltung der East India Company zur Verfügung gestellt bekommen hatte, gehörte die im Jahr 1802/03 als „New Land Pattern“ (im Gegensatz zur Sea-Pattern der Marine) offiziell normierte Steinschlosspistole mit Gelenkladestock ab 1802 bis weit in das 19. Jahrhundert hinein zur ständigen Begleiterin britischer leichter Kavallerieverbände und der Berittenen der Artillerietruppe. Sie war sozusagen der Gegenpart zu den auf dem europäischen Kontinent während der napoleonischen Epoche überall anzutreffenden französischen Kavalleriepistolen M an 9 und M an13.

Der „Broad Arrow“, die Königsmarke

Wie alle englischen, im Regierungsauftrag gefertigten, gelieferten und an die Truppe ausgegebenen Waffen wird der Staatsbesitz durch ein spezielles Zeichen an der jeweiligen Waffe dokumentiert. Dies ist der sogenannte „Broad Arrow“, ein Stempel in Pfeilform zusammen mit dem Herrschermonogramm, der bei der Endabnahme der Waffe meist am Schloss und am Lauf eingeschlagen wurde. Dieser „Broad Arrow“, ist zusammen mit der Beschussmarke „Krone über gekreuzten Schwertern“ in England seit der Regierung der Königin Anna, also zumindest seit 1713 verwendet worden. Der in England als „King’s Mark“ bekannte Stempel war das untrügliche Zeichen dafür, dass der so gekennzeichnete Gegenstand Eigentum der Regierung war.


Lord Pagets Erfindung

Um das Jahr 1800 erhielt die englische Reiterei einen bemerkenswerten, neuen Karabiner, den sogenannten „Paget“-Karabiner, welcher auf eine Konstruktionsidee des englischen Kavalleriegenerals Lord Paget zurückgehen soll.

Dieser Karabiner war aus zwei Gründen bemerkenswert: Sein Lauf war bei weitem der kürzeste, der jemals an einem englischen Karabiner Verwendung gefunden hatte. Bei einer Länge von gerade einmal 16 Inches (406,8mm) war der Karabiner extrem leicht und konnte daher von einem Reiter sehr gut gehandhabt werden. Von besonderem Vorteil für den Reiter aber war ein System, welches zwar in Sachsen schon im Jahr 1789 verwendet, nun aber in England offensichtlich zum zweiten Mal erfunden wurde. Gemeint ist die Befestigung des eisernen Ladestocks mittels eines an der Laufunterseite, kurz hinter der Mündung angebrachten Scharniers. Damit konnte der für einen Ladevorgang unabdingbare Ladestock nicht mehr verloren gehen, was bisher immer das Hauptproblem im Umgang mit einem Karabiner zu Pferd gewesen ist.

Dieser Gelenkladestock wurde konsequenterweise auch für die neu konstruierte Pistole M 1802 New Land Pattern übernommen, die zudem das gleiche Steinschloss wie der Paget-Karabiner erhielt. Darüber hinaus besaßen beide Waffenarten das gleiche Kaliber und auch die Pulverladung von 5,31g war für Karabiner und Pistole identisch.

Der Paget-Karabiner und die New Land Pattern-Pistole M 1802 waren letztlich derart erfolgreich, dass sie – wenn auch mit kleineren Veränderungen - bis zur Einführung der Perkussionszündung bei der Truppe Verwendung fanden. Natürlich blieb die Paget-Erfindung des Scharnierladestocks nicht nur auf England begrenzt. Auch das Ausland wurde recht schnell auf dieses eigentlich schon Ende des 18. Jahrhunderts bekannte System aufmerksam und Länder wie Frankreich, Bayern, Holland etc. übernahmen dieses Konstruktionsmerkmal ebenfalls, meist jedoch für ihre jeweiligen Marinepistolen oder für die Soldaten, die keinen Karabiner und damit auch keinen Karabinerladestock zum Laden ihrer Pistole besaßen.

Eine weitere Neuheit, die bei der New Land Pattern Pistole zumindest bei den nach 1810 gefertigten Stücken zum Standard gehörte, war eine Pfanne mit erhöhtem Rand, die das Eindringen von Regenwasser in den Pulvertrog verhindern sollte. Dieses auf dem Kontinent ebenfalls schon recht lange bekannte Detail war von den Büchsenmachern und Vertragsnehmern Willetts & Holden 1810 vorgeschlagen worden, die sich gleichzeitig erboten, 500 solcher Pistolen zu liefern. Da die hier vorgestellte Pistole jedoch im Tower-Arsenal in London gefertigt wurde, also nicht zu den von Willetts & Holden gelieferten Pistolen gehört, ist davon auszugehen, dass der vernünftige Verbesserungsvorschlag dieser beiden Büchsenmacher vom Board of Ordnance übernommen worden ist.

Zu Beginn der Produktion der Pistole New Land Pattern wurde auf dem Schloss das Monogramm „GR“ für König Georg III. unter der britischen Krone eingeschlagen. Ab 1830 bis 1837 folgte das Monogramm „WR“ für König William IV. und ab 1837 bis zur Produktionseinstellung dieses Waffenmusters das Monogramm „VR“ der Königin Victoria. Anzumerken ist, dass auf Grund der Erfahrungen des Feldzuges auf der Iberischen Halbinsel ab 1815 das Bräunieren der Läufe aller Feuerwaffen, Gewehre, Büchsen, Karabiner und Pistolen angeordnet wurde.

Auslandsverwendungen

Die Pistole New Land Pattern 1802 ist von der englischen Regierung während der napoleonischen Kriege auch an verbündeten Armeen geliefert worden, so dass nicht nur die Armee des in Personalunion mit England verbundenen Hannovers damit ausgerüstet war, sondern z.B. auch Braunschweig, Oldenburg, Lübeck, Hamburg, Mecklenburg-Schwerin sowie die Kavallerie Portugals und Spaniens. Einer der Hauptabnehmer englischer Steinschlosspistolen M 1803 war darüber hinaus die Armee der East India Company, die auf dem Schlossblech den aufrecht nach links schreitenden Löwen der EIC zeigten. Aber auch Staaten in Südamerika wie Mexiko und Argentinien waren im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts dankbare Abnehmer britischer Lieferungen von Pistolen 1802 New Land Pattern.

Da die hier vorgestellte Pistole auf dem Lauf das bekannte belgische Beschusszeichen „ELG“ aus Lüttich trägt, kann man davon ausgehen, dass die Waffe nach ihrer Ausmusterung in England an belgische Händler verkauft wurde, von wo sie danach an ein Entwicklungsland in Südamerika oder Afrika, vielleicht auch an eine europäische Kolonie weitergereicht wurde.



Geschichte Techn. Daten Bestempelung Literatur Zum Anfang