Die preußische Kavalleriepistole M 1850

mit gezogenem Lauf nach dem System Minié


Geschichte


Text: Udo Lander

Es ist sicherlich nicht übertrieben, wenn man sagt, dass die preußische Vorderladerpistole M 1850, die Letzte ihrer Art vor Einführung der Reichsrevolver, so ziemlich jedem einschlägig vorbelasteten Sammler bekannt ist. Zumindest gesehen hat diese Faustfeuerwaffe wohl schon jeder Sammler, sei es als Kopie, sei es als Original.

Nur den allerwenigsten Sammlern dürfte jedoch eine solche Pistole untergekommen sein, deren Lauf ganz deutlich erkennbar vier Züge nach dem System Minié aufweist. Was es damit auf sich hatte und ob es sich hier nicht um einen möglichen Aprilscherz handelt, soll nachfolgend kurz skizziert werden.

Minié-Gewehre für die preußische Infanterie

Angesichts der von der Krim ausgehenden, auch für Preußen greifbaren Kriegsgefahr suchte die preußische Armee 1855 eine schnell realisierbare Möglichkeit, sämtliche glattläufigen Infanteriewaffen auf gezogene Läufe umzurüsten. Sehr rasch entschied sich eine Kommission für das aus Frankreich bekannt gewordene Minié-System, welches nur geringe und damit kostengünstige Umbaumaßnahmen erforderte.

Nach entsprechenden Versuchen in Suhl und Spandau fiel der Entschluss zur Übernahme des Minié-Systems für die Infanteriegewehre am 20. März 1855 und im Juli desselben Jahres begannen die Umbauarbeiten in allen preußischen Gewehrfabriken. Bereits im August 1856 war die Umänderung von 220.000 Gewehren M 1839 beendet und im Dezember 1856 waren auch 80.000 Gewehre M 1809UM mit gezogenen Läufen ausgestattet.

Minié-Waffen für andere Waffengattungen

Aber ganz offensichtlich hat man auch die Waffen der anderen Waffengattungen in diese Umrüstungsüberlegungen mit einbezogen. So schrieb Oberstleutnant Eckardt in seinem Buch „Die Handwaffen des brandenburgisch-preußisch-deutschen Heeres“, dass sich die Taktiker aller Heere einen besonderen Nutzen vom Miniégewehr für die Verwendung dieser Waffe bei den Truppen versprachen, welche das Gewehr nicht als Hauptwaffe führten und bei denen die Schießausbildung in den Hintergrund treten musste. Man dachte dabei hauptsächlich an Pioniere, Artilleristen und Berittene. Von der Rasanz des Minié-Systems erwartete man einen gewissen Ausgleich für die mangelhafte Schießausbildung . In Preußen führten diese Überlegungen letztlich zur Einführung eines Minié-Gewehres für die Pioniere, das Pioniergewehr UM.

...und die Kavallerie?

Die zwischen 1825 und 1875 in Darmstadt herausgegebene Allgemeine Militärzeitung (AMZ), das nahezu konkurrenzlose deutschsprachige Fachblatt im 19. Jahrhundert für alle, die mit dem Militär zu tun hatten, meldete am 21.10.1856 aus Berlin: „Seitdem die Umänderung der Infanteriegewehre in Miniébüchsen (sic!) beendet, hat man in den Militärwerkstätten damit begonnen, die Cavalleriewaffen in ähnlicher Art umzugestalten. Mit den umgearbeiteten Pistolen und Karabinern sind bereits Versuche angestellt und diese befriedigend ausgefallen“.

Diese bemerkenswerte, weil sonst in keiner weiteren Quelle dokumentierte Feststellung hat nun insofern eine Bestätigung erfahren, als nun eine Pistole M 1850 aufgetaucht ist, deren Lauf tatsächlich mit vier Minié-Zügen versehen ist.

Die Annahme, es könnte sich bei dieser Waffe wegen der fehlenden Bestempelung unter Umständen um eine im Rahmen einer Privatbestellung für einen Offizier gefertigte Waffe handeln, kann keinesfalls stichhaltig sein. In diesem Falle wären zwingend zumindest die Beschuss- und Kontrollstempel an der Waffe vorhanden. Es kann sich somit nur um eine der in der AMZ erwähnten Versuchspistolen handeln, welche in einer der preußischen Gewehrfabriken - vermutlich Potsdam – gefertigt und ohne irgendwelche Endfertigungsabsichten sofort in die Erprobung gingen, sich dabei als nicht praktikabel erwiesen und danach ins Depot wanderten.

Das Problem

Das Minié-System an sich hatte unbestreitbare Vorteile hinsichtlich der Reichweite und der Treffsicherheit. Dies musste aber durch ein schwereres Geschoss, eine deswegen weit höhere Ladung und so durch einen stark angestiegenen Rückstoß erkauft werden. Hatte schon der Infanterist gehörigen Respekt vor dem Rückschlag seines Minié-Gewehres, so war dieses Problem bei einem Karabiner oder einer Pistole noch weit stärker ausgeprägt. Doch war für die Pistolen ein vernünftiger Kompromiss zwischen der starken Ladung, die zum Funktionieren der Expansionsführung notwendig war und dem daraus resultierenden Rückstoß nicht in Sicht. Selbst die bei der badischen Kolbenpistole M 1853/58 durchgeführte Reduzierung des Kalibers auf 13,9mm konnte das Problem nicht entscheidend beseitigen – die badische Kolbenpistole wurde laut Reglement nur mit Ansteckkolben benutzt, ein freihändiges Schießen war praktisch unmöglich.

Die Lösung

Das Bemühen Preußens, auch die Kavalleriewaffen auf das Minié-System umändern zu lassen, war wie bei den Infanteriegewehren bestimmt durch die politische Situation Mitte der 1850er-Jahre. Der Krimkrieg bestimmte das Handeln. Doch erst Ende 1856 war die Umrüstung der Infanteriewaffen beendet und die Ergebnisse aus der Erprobung der gezogenen Kavalleriewaffen bekannt. Doch bevor man in Berlin weitreichende Entscheidungen hinsichtlich des Verfahrens bei den Kavalleriewaffen treffen hätte müssen, wurde der Krimkrieg noch 1856 beendet. Der Zwang zur Entscheidung war damit aufgehoben. Dazu kam, dass Preußen zügig an der Entwicklung und Einführung des neuen Zündnadelkarabiners M/57 arbeitete, dessen Übernahme letztlich das Problem zwar auf geniale Weise, doch auch nur teilweise löste:

Die Mannschaften der leichten Kavallerie erhielten unter Abgabe der Pistolen nach und nach den Zündnadelkarabiner. Nur die Ulanen, Kürassiere und die Artillerie behielten noch bis zur Einführung des Reichsrevolvers die glatte Pistole M 1850

Die hier vorgestellte Pistole ist bis heute sicherlich die Einzige bekannt gewordene ihrer Art und damit ein außerordentlich seltenes Beweisstück für das Bestreben der preußischen Militärführung, auch in außenpolitisch schwieriger Zeit militärtechnisch nicht ins Abseits zu geraten.



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